09.04.2011

In der Ästhetik berühren sich die geistige Welt der Ideen und Makro Umwälzungen und die Welt der Dinge und Mikrobedeutungen. Ich sehe einen schönen Gegenstand, und frage mich: warum ist er schön? Welche Idee steht dahinter? Was symbolisiert er? Welcher Sinn wird ihm zugeschrieben? Warum gerade jetzt? Wer findet ihn schön? Warum findet man Dinge schön, die man einmal abscheulich fand? Sinnzuschreibung wird permanent neu hergestellt, weil sie alle gedanklichen und sozialen Systeme ständig neu reprodizieren oder neu ausgerichtet werden. Warum finden wir einen Gegensatnd, der alt, abgenutzt oder sogar kaputt ist schön? Weil in einer Zeit der industriellen Reproduzierbarkeit und der globalen Verfügbarkeit einem Gegenstand mit Geschichte Einzigartigkeit und Authentizität und zugeschrieben wird. In der Welt des Massenkonsums ist das Alte originär und nicht reprodizierbar und kann so zur Projektionsfläche für eine Gegenästhetik werden. Dabei geht es weniger um Nostalgie, die sich auf die Dinge konzentriert, die wir aus unserer erlebten Vergangenheit kennen, und sie ironisiert wiederaufleben lässt. Ahoi Brause, Capri Sonne, und Bonanzarad sprechen andere Sehnsüchte an als verrostete Emailschüsseln, Schwemmholzmöbel oder Belle Epoque Gartenstühle. Dennoch geht es in beiden Fällen um die Neuzuschreibung von Sinn, um eine neue Kodierung der Lesart. Ironisierung ist die Vorstufe der Dekonstruktion, im Nietzsche'schen Sinne vielleicht sogar die Umwertung der Werte. Dennoch bleiben solche Umwertungen schwächliche Zuckungen. Eine Avantgarde, die zu einer echten Umwertung in der Lage wäre, kann es aber in der Postmoderne nicht geben, weil es keinen Fortschritt mehr geben kann. Die europäische Avantgarde hatte sich an der alten Ordnung abgearbeitet. Hat sie radikal zertrümmert, und neue Utopien erschaffen. Nach der totalen Dekonstruktion aller kulturellen und sozialen Systeme gibt es aber nur noch sinnentleerte Elementarteilchen, die sich zu neuen Sinneinheiten verbinden und wieder zerfallen, frei interpretierbar je nach Betrachter. Geschichte wird so auf die Interpretation der Zeitgenossen, genauer, der jeweiligen hegemonialen Weltsicht reduziert. Fortschritt, der Gott der Moderne, iszt damit unmöglich. Wir müssen also wieder Sinn zulassen, um die Postmoderne zu überwinden.

Das wird nicht einfach, denn in der gegenwärtigen Hegemonie verbinden sich Poststrukturalismus und Neoliberalismus zu einer Koalition der Beliebigkeit, die im Interesse der Stärksten jede gesellschaftliche Gestaltung unterbindet. Wen wundert es also, wenn den entpolitisierten Biedermeiern nur die Ironisierung ihrer Kindheit bleibt?

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